Winter in Sydney
Im August 2003 wird Peter gebeten, für die Mitarbeiterzeitung seiner Firma einen Beitrag in der Rubrik "E-Mail aus ..." zu verfassen. In 2700 Zeichen gibt er einen Überblick über den Winter in Sydney.
Es ist Winter in Sydney. In Australiens größter Stadt, wie Casablanca auf dem 33. Breitengrad gelegen, sind Schnee und Eis allerdings unbekannt. Zwar prägen Wollmäntel das Bild in den Straßen und auf den Fähren; dennoch lassen sich die Sydneysider vonTemperaturen um 15 Grad nicht von ihren Lieblingsbeschäftigungen abhalten. Neopren umhüllte Wellenreiter bevölkern immer noch die Buchten entlang Sydneys Küstenlinie. Und durch Gasheizer währt die Freiluftsaison in Restaurants das ganze Jahr über.
Neben der Luft sind auch die politischen Emotionen der letzten Monate abgekühlt. Die aus dem Irak zurückkehrenden Truppen wurden kürzlich mit einer Parade geehrt und laut Medien von Zehntausenden, darunter viele Vietnam-Veteranen, begeistert empfangen. Nicht vergleichbar allerdings mit der Anzahl derjenigen, die im Vorfeld des Konflikts gegen den Krieg protestiert hatten.
Auch die Wogen um den Governor General sind seit dessen Rücktritt geglättet. Dem Repräsentanten der Königin von England war vorgeworfen worden, während seiner früheren Amtszeit als Bischof von Brisbane sexuelle Übergriffe von Priestern seines Bistums vertuscht zu haben.
Die gemeinen Untertanen drückt nun wieder die Frage, wie man es zuhause warm bekommt. Australiens Architekten ignorieren, dass für zwei Monate die Nachttemperaturen unter 10 Grad liegen können. Zentralheizung und Isolierglas sind weitgehend unbekannt. Man behilft sich durch wärmere Kleidung, zusätzliche Decken und Elektroöfen, die derzeit eine Renaissance erleben.
Oder man geht aus. Zum Beispiel, um gemeinsam mit Freunden das Lieblingsteam anzufeuern. Derzeit ist die Rubgy-Saison auf dem Höhepunkt, so dass die Pubs von den Gesängen der Fans widerhallen. Ein Vorgeschmack auf den World Cup, der ab Mitte Oktober hier ausgetragen werden wird.
Wem das zu laut ist, der kann in die Natur entfliehen. Die Attraktivität der Wälder und Canyons um Sydney ist ungebrochen. Australiens einheimische Pflanzen sind immergrün. Viele importierte stehen gerade in voller Blüte: Magnolien, Protea und Christsterne.
À propos: Manchem Aussie wird angesichts der niedrigen Temperaturen und kurzen Tage ganz warm um's Herz, und man fährt zum Yulefest in die Blue Mountains westlich der Stadt. Hier feiert man bei geschmücktem Baum und Rauscheengel ein in seinen Gebräuchen Weihnachten ähnelndes Fest. Und gelegentlich fällt auf 1000 Meter Höhe sogar etwas Schnee.
Auch wir "Neu-Australier" sind gegen solcherlei Sentimentalitäten nicht gefeit. Freunde werden demnächst nach Deutschland fliegen und auf dem Rückweg Heinz Rühmanns Feuerzangenbowle und einen Zuckerhut mitbringen. Ein klitzekleines bisschen vermisst man einen "richtigen" Winter eben doch ...