Juni 2002

Warten auf die Fähre

Weg zur Arbeit. Wir sind nun schon über einen Monat in der Ferne, und langsam werden viele Dinge natürlicher für uns. Peter hat zwei "Stammfähren" zur Auswahl, um morgens zur Arbeit zu gelangen. Meistens nimmt er die 7:43 Fähre, eher selten die 8:28 Fähre. Von unserer Haustür zum Anleger sind es 10 Gehminuten mit fantastischen Ausblicken auf Sydney's CBD (Central Business District). Der Anleger selbst bietet einen Traumblick auf die Harbour Bridge. Und weil Weg und Ausblicke so schön sind, wird dies der täglichen Freizeit zugerechnet. Staumeldungen im Radio interessieren uns überhaupt nicht mehr ;-) Nur für den Notfall und bei strömendem Regen gibt es die Möglichkeit, mit dem Bus zur Arbeit zu fahren. Peter probiert es einmal aus, steckt prompt im Stau fest - freiwillig nicht noch einmal.

Skiff-Segeln auf Sydney Harbour

Erste Segelerfahrung. Claudia hatte schon im Mai Kontakt aufgenommen mit dem Balmain Sailing Club, unserem Nachbarn treppabwärts. Da hier gerade die Wintersaison ausgerufen wurde, haben viele Clubs ihre Wassersportaktivitäten bis Oktober deutlich reduziert oder ganz eingestellt. Der Segelclub veranstaltet im Winter aber zumindest im 14-Tages-Rhythmus Sonntags-Regatten. Zusammen mit unserem Nachbarn David, Segler eines Einmann-Lasers, ist Claudia schon Mitte Mai zum Club gegangen und hat prompt einen Platz als Vorschoter auf der Jolle von Michael gefunden. Bei Starkwind (4-5 Windstärken) gleicht das Jollensegeln einem Nußschalen-Rennen. Jetzt endlich wissen wir es: Das Wasser im Inner Harbour ist genauso salzig wie draußen im Meer.

Am 2. Juni steht die nächste Regatta an. Da Michael gesagt hatte, bei wenig Wind nehme er auch Peter mit auf das Schiff, kleidet sich auch Peter in alten Jeans und Badesandalen. Mitten in den Segelvorbereitungen – Mast und Baum müssen aufgestellt werden, und die Segel bereits an Land gesetzt – sucht Poppy ebenfalls einen Vorschoter. Also wechselt Claudia zu Poppy, und Peter – der noch niemals auf einem Schiff war – findet sich als Michael's Vorschoter in einer Regatta wieder! Das Wetter ist launisch, der Wind kommt aus hundert unterschiedlichen Richtungen, wechselt beständig seine Stärke. War an Land noch fast Windstille, so nimmt die Kraft des Windes mit dem Startschuß beständig zu. Poppy's Boot ist schnell, aber auch äußerst kibbelig. Ach, hätten wir doch das Trapez dabei, das wir an Land haben liegen lassen in Erwartung eines gemächlichen Törns! So versucht Claudia, durch Stehen auf der hohen Kante das Boot in der Waagerechten zu halten, was sehr in die Bauchmuskeln geht und blitzschnelle Reaktionen erfordert. Kurz darauf kommt eine unerwartete Bö, gleichzeitig versperrt David's Laser uns den Weg – und auf der hohen Kante stehend sieht Claudia, wie der Mast in das Wasser eintaucht und immer weiter dreht, bis wir kieloben ("schwertoben") schwimmen. Poppy schwimmt im Wasser, Claudia zieht sie auf die Unterseite des Bootes. Poppy hängt sich an das Schwert, Claudia drückt von oben; langsam dreht sich das Boot wieder zurück, liegt nun mit dem Mast auf dem Wasser. Noch ist Claudia trocken, jetzt kommt der kritische Augenblick. Und es gelingt! In dem Augenblick, in dem sich das Boot aufrichtet, klettert Claudia wieder über die hohe Kante und zieht dann Poppy aus dem Wasser. Bei den winterlichen Temperaturen (ca. 10°C plus Wind) ist Claudia froh um ihre halbwegs trockene Kleidung. War es dieses Kentermanöver, war es einfach der Spaß an Bord? Von nun an sind wir beide fest als Vorschoter engagiert: Claudia bei Poppy und Peter bei Michael.

Unsere Möbel kommen! Am 4. Juni haben wir Hochzeitstag. Aus besonderem Anlaß werden uns an diesem Tag unsere lang ersehnten Möbel geliefert. Der LKW parkt in der Straße, und vier Packer füllen nach und nach unser leeres Haus. Große Möbel werden direkt auf der Straße aus ihren Kisten entfernt, die Kisten mit den Kleingegenständen stapeln sich in den Zimmern. Jede Kiste trägt eine Nummer, einen Raum und eine Hauptbezeichnung (z.B. 27–Wohnzimmer–Gläser). Claudia hakt die Liste mit den Kisten ab, Peter steht im Haus und dirigiert in die Räume. Nach 4.5 Stunden ist der LKW leer, unsere Wohnung ein Chaos, das Bett und der Wohnzimmerschrank aufgebaut und die Tiefkühlpizza im Ofen. Schon vorher hatten wir uns einige wichtige Kisten vorgemerkt: 96–Staubsauger und 41–Kaffeemaschine. Und nun holen wir die Kaffeemaschine und machen uns den ersten Nicht-Café-Kaffee seit 8 Wochen. Hmmmm, köstlich! Einfach unbeschreiblich gut! Nachmittags holen wir einmal tief Luft und fangen dann an, die Küche einzurichten. Es ist einfach toll, mal wieder mehr als zwei Messer und zwei Gläser zu haben. Und so packen wir genüßlich die vielen Kartons aus. Immer wieder entfährt uns ein "Ach, du ahnst es nicht!". Es ist wie Weihnachten: Wir finden Mörser, Wasserkocher, Toaster (wie lange hatten wir kein getoastetes Toast mehr), Eierbecher, Tablett, Salatschleuder. Und zum Abschluß dieses wirklich sehr besonderen Hochzeitstages schmeißen wir uns noch fein in Schale und gehen Indonesisch essen.

Im Gegensatz zu unserem Umzug von Karlsruhe nach Schwetzingen geht diesmal nur Peter am nächsten Tag wieder "auf Schicht". Claudia nutzt die Tage, um nach und nach die Anzahl der Kartons zu verringern und die Anzahl der eingeräumten Zimmer zu erhöhen. Oberste Priorität hat das Radio. Nach 8 Wochen ohne Fernseher und Radio ist es uns ein großes Bedürfnis, die Stille im Haus mit Klassik und Jazz zu durchbrechen. Wir haben zwei kleine Weckradios in den Kisten, aber die können sich überall verstecken. Leichter ist es wohl, die HiFi-Anlage aufzubauen. Doch oh Schreck: Die Kabel, die den Verstärker mit den Komponenten verbinden, sind anscheinend irgendwo anders gelandet. Es dauert noch einmal zwei äußerst stille Tage, bis die Kabel auftauchen. Und dann tut es so unbeschreiblich gut, Musik zu hören! Die Wohnungseinrichtung schreitet voran, auf unserem Balkon mehren sich die leeren Kartons. Eine Woche lang stapeln wir abends, wenn Peter wieder da ist, die Kartons in der Tiefgarage, wo sie später abgeholt werden. Und nach 6 Tagen sind wir fertig: Die Öllämpchen sind wieder mit Petroleum gefüllt, das Gewürzregal eingeräumt, die Handtücher verstaut. Einige Dinge fehlen noch: unsere Fahrräder und Wanderschuhe wurden noch nicht geliefert (liegen in der Quarantäne), unserem Wohnzimmertisch fehlen zwei Beine und der Kudu hat keine Hörner. Auch Umzugsschäden haben wir zu vermelden. Die Sache ist noch nicht abgeschlossen.

Fahren über Dirt Roads — ... und das Ergebnis

Ausflug nach Jervis Bay. Am Sonntag, 9. Juni gönnen wir uns eine Auszeit. Eric und Bine holen uns morgens um 7:00 (!) ab, und gemeinsam fahren wir nach Süden aus der Stadt hinaus bis Jervis Bay. Dabei durchfahren wir auch unsere ersten australischen "dirt roads". Eric genießt es, seinen Landcruiser so richtig in die Schlammlöcher zu fahren ;-) Jervis Bay soll der schönste Strand Australiens sein, und jetzt im Winter viele Delphine und Wale zu sehen. Diese sehen wir nicht – und eigentlich glauben wir auch nicht, daß sie wirklich bis in diese enge Bucht kommen –, aber wir genießen den Strand auf alle Fälle. Es ist wärmer als ein deutscher Winter, keine Frage. Aber das Flair ist genauso, wie im Winter an der Nordsee: kräftiger Wind und kilometerlanger Strand fast für uns alleine. Und dann beobachten wir noch drei Fischer, die auf Felsen im Wasser ihre gefangenen Fische ausnehmen. Anscheinend sind sie bei den Pelikanen der Umgebung gut bekannt: Die Pelikane sammeln sich um die drei und warten geduldig auf die Innereien, Haut und (einige Fische werden gar filetiert) Gräten mit Kopf. Es ist ein tolles Schauspiel: Die mächtigen, eleganten Pelikane warten ruhig darauf, daß sie ihre Anteile bekommen, scheinen gar in britischer Manier Schlange zu stehen. Wenn einer einen Fischkopf bekommen hat, stellt er sich hinten wieder an. Gar nicht vergleichbar mit den zankenden Möwen...

Möwen und Pelikane warten auf die Fütterung

Peters erster Wintergeburtstag. Mitte Juni wird es kalt, aber sonnig: unter dem wolkenlosen Himmel sinken die Temperaturen in den sternklaren Nächten auf 8°C ab, aber tagsüber erreichen wir noch angenehme 25°C. Viele Restaurants in Sydney stellen Gas-Wärmestrahler auf, so daß man trotz der Kälte lange draußen sitzen bleiben kann. Am 25. Juni feiert Peter seinen ersten Winter-Geburtstag. Mit Bine und Eric treffen wir uns abends nach der Arbeit im Café an der Oper. Über uns die Möven, neben uns die Fähren im spiegelnden Wasser des CBD, und dazu ein Geburtstagskuchen von Claudia zu einem Glas Wein mit Blick auf die Harbour Bridge im Vollmond. Juni-Wintergeburtstage haben auch sehr viel zu bieten ;-) Schon in Karlsruhe hatte Peter immer sehnsüchtig die Paddler beobachtet, die auf der Alb durch unseren Garten gepaddelt sind. Nun wohnen wir so nah am Wasser, dass wir unsere Präferenzen und Fortbewegungsarten völlig umstellen: Wir haben immer noch kein Auto, aber Peter bekommt zum Geburtstag ein Kayak geschenkt. Und Bine und Eric steuern einen "Wet-Suit" bei, ein Neopren-T-Shirt, passend in Kayak-gelb. Wann Peter wohl für seinen Arbeitsweg von der Fähre auf das Kayak umsteigen wird...?