Juli 2008
Bilder anklicken, um ein Vollbild zu sehen.
Neue(s) Leben. Juli 2008 ist der Monat. Für unsere treuen Leser ist die Neuigkeit über unseren doppelten Nachwuchs, erst im Juni mit Euch geteilt, vermutlich immer noch eine riesige Überraschung; wir aber konnten uns naturgemäß etwas länger auf dieses Ereignis vorbereiten. Seit vielen Monaten wissen wir, dass "Woche 40" am 17. Juli sein würde. Zwillingen gibt man i.d.R. aber nur 38 Wochen — unser Ziel ist es, es in den Juli zu schaffen.
Claudia hatte während der Schwangerschaft, die im Großen und Ganzen dennoch gut verlief, mit allen möglichen "Zipperlein" zu kämpfen: Sodbrennen, Rückenbeschwerden, schliesslich sogar Schwangerschaftsdiabetes. In der letzten Juniwoche stellt der Arzt hohen Blutdruck fest, und sie muss für eine Nacht zur Aufsicht ins Krankenhaus. Wir rechnen damit, dass es nun jeden Augenblick losgehen, die Geburt eingeleitet würde.
Doch weit gefehlt: Der nächste Check ergibt weitgehend normale Werte, und nach dem Motto "je länger [die beiden in Claudias Leib heranwachsen], desto besser" wird vom Arzt der 7. Juli zum Stichtag erklärt.
Und so beginnt einer der surrealsten Tage unseres Lebens. Morgens um 7 wird Claudia von den Hebammen des North Shore Private Hospital in Empfang genommen und an Tröpfe angeschlossen, die schon bald die Wehen einleiten werden. Wenig später kommt eine Ärztin und legt eine Periduralanästhesie: Eine haarfeine Kanüle wird zwischen den Wirbeln eingeführt, und durch diesen Schlauch werden Betäubungsmittel zielgenau injiziert. Hier im Krankenhaus ist das bei Mehrlingsgeburten eine Standardprozedur. Denn aus Sorge um das zweite Kind will man in der Lage sein, ohne Zeitverlust die Dosierung des Betäubungsmittels zu erhöhen und ggf. einen Not-Kaiserschnitt durchzuführen. Jedenfalls spürt Claudia von da an nichts von den Wehen, während Peter an den Ausschlägen der Messinstrumente sieht, wann es wieder "soweit ist", und sorgenvoll den Herzschlag der beiden Babies auf den Schreibern verfolgt. Claudia dagegen verschläft den Rest des Tages, verschläft die Mittagszeit, als eine fürsorgende Hebamme Peter ein Essen bringt, verschläft die Besuche der Krankenschwestern, die nach dem Rechten schauen und die Werte auf den Messstreifen prüfen.
Erst als nach Einbruch der Dämmerung ihr Arzt kommt, wacht sie auf. Die Nachrichten sind nicht ganz so, wie wir sie erhofft hatten: Zwar liegen beide Babies mit dem Kopf nach unten, doch unser baldiger Erstgeborener, der den Namen Niklas tragen wird, schaut nach vorne, in die falsche Richtung. Das kann die Geburt (in den Augen des Arztes unnötig) verzögern und den Stress auf die beiden Lütten erhöhen. Ein Kaiserschnitt wird vorgeschlagen.
Von da an geht's Schlag auf Schlag: Eine Dreiviertelstunde später liegt Claudia im OP, Peter ist bei ihr, der Arzt ist für uns unsichtbar hinter einem grünen Tuch, das Vorhang-ähnlich über Claudias (ehemalige :-)) Gürtellinie hängt. Und was für ein Augenblick, als Claudia plötzlich ausruft: "Der Druck ist weg! Der Druck ist weg!" und im selben Augenblick Niklas über den Vorhang hinweg uns in die Arme gelegt wird. Da ist es 19 Uhr sieben, und eine Minute später folgt unser "Nachzügler". Dürfen wir vorstellen: Jonas. Claudia hält immer einen der beiden im Arm, während Peter Nabelschnüre abschneiden darf, beim Vermessen, Wiegen und der ersten Impfung dabei ist. Niklas und Jonas sind gesund und für Zwillinge durchaus stattlich mit ihren 47cm bzw. 49cm Länge und exakt demselben Gewicht von 2.730g — Beweis, dass über die letzten neun Monate alles brüderlich geteilt wurde!
Das Krankenhaus stellt sich als Trainingscamp heraus: In den ersten Tagen wird uns noch fast alles abgenommen, Wechseln der Windeln und der Babywäsche, Einwickeln der beiden Zwerge in dicke Tücher, ehe sie zum Schlaf gelegt werden. Doch peu-a-peu werden wir in all diese Tätigkeiten, die schon bald Alltäglichkeiten sein werden, eingewiesen, und Mitte der Woche sind Schwestern und Hebammen seltener zu sehen. Wenn sie vorbeischauen, haben sie aber immer wertvolle Tipps parat, die wir dankbar annehmen.
Nach fünf Tagen beginnt der "Ernst des Lebens": Claudia, Niklas und Jonas werden entlassen. Daheim warten Gisela und Pico, die uns in den folgenden Wochen eine unendlich große Hilfe sein werden (und zur Begrüßung den Eingang dekoriert haben). Die beiden haben selbst drei Kinder groß gezogen und stehen mit Rat und Tat zur Seite. Aber natürlich sind wir trotzdem nervös. So ist es z.B. die kälteste Zeit des Jahres, und wie werden die beiden Babies wohl in unserem australisch-typisch mäßig isolierten Haus damit zurecht kommen? Peter hat vorsorglich eine Elektroheizung für das Kinderzimmer gekauft, und unsere beiden Kamine brennen nun Tag und Nacht.
Trotzdem lassen wir es uns nicht nehmen, vom ersten Tag an täglich einen Spaziergang mit Kinderwagen zu unternehmen. Mal sind Gisela und Pico dabei, mal schieben die beiden alleine mit dem Kinderwagen los, damit Claudia und Peter ein wenig "Auszeit" haben. Immer ist man mit den beiden Zwergen der Star, wollen Passanten einen Blick in den Wagen werfen.
Ganz besonders auffällig wird das an einem Nachmittag im Stadtteil St Ives: Dort ist das sogenannte Early Childhood Centre untergebracht, eine kommunale Einrichtung, in der Hebammen neuen Eltern mit Rat und Tat zur Seite stehen und kleinere Untersuchungen und Impfungen durchgeführt werden. Im Anschluss an einen Besuch in diesem Centre gönnen sich Claudia und Peter noch einen Kaffee im benachbarten Einkaufszentrum. Jonas und Niklas liegen in ihren Tragekörbchen, die auch als Autositz fungieren, und Peter trägt in jeder Hand einen der beiden Wonneproppen. Wer auch immer uns sieht trägt sofort ein Lächeln auf den Lippen. Peter ist natürlich der Überzeugung, dass das an ihm liegt, vor allem, wenn junge Frauen über's ganze Gesicht strahlen. Lassen wir ihn in dem Glauben ...