Januar 2013

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Draußen: kalt

Karlsruhe. Als wir im Frühjahr 2012 unseren Deutschland-Aufenthalt planten, war eines von Anfang an klar gewesen: Karlsruhe würde unser Zuhause sein. Von hier aus kann Peter einfach mit der Bahn zur Arbeit pendeln. Es ist deutlich städtischer als die Ortschaften, die näher zu seinem Arbeitplatz liegen, was Infrastruktur und Kulturangebot angeht nur mit Mannheim oder Heidelberg vergleichbar. In Karlsruhe hatten wir viele Jahre gelebt, studiert, promoviert. Entsprechend vertraut sind uns Stadt und Umland, entsprechend viele Kontakte und Freundschaften pflegen wir auch heute noch hier, ein gutes Jahrzehnt nach unserem Umzug nach Sydney. Und zu guter Letzt wohnen Teile der Familie nicht gar zu weit entfernt oder sogar in der Stadt selbst.

Direkt nach Neujahr beginnen Niklas und Jonas ihre Kindergartenzeit, deretwegen das ganze "Projekt" dereinst ins Rollen gekommen war. Sie sind nun stolze Mitglieder der Frosch- bzw. Eichhörnchengruppe. Claudia bringt sie morgens mit der Straßenbahn in Karlsruhes Südstadt und holt sie nach dem Mittagessen wieder dort ab. Im Laufe der Wochen kommen zu spontanen Nachmittagsaktivitäten — Kino, Figurentheater, Zoo — regelmäßige hinzu: Dienstags besuchen sie die musikalische Früherziehung, montags und mittwochs geht's zum Schwimmen ins Fächerbad. Somit ist den Tagen ein Rahmen gegeben, Routine kehrt ein. Dieses werktägliche Einerlei wird von vielen Aktivitäten an den Wochenenden unterbrochen; doch davon weiter unten.

Der Kindergarten zeigt eine andere Herangehensweise als das Day Care Centre in Sydney: Wurde in letzterem im Vorgriff auf die Schule bereits Wissen vermittelt und Neugierde geweckt, wurden über Wochen hinweg Fokusthemen wie Weltall, Dinosaurier, Zoo behandelt, so legt der Kindergarten in der Südstadt auch Wert auf soziale Kompetenzen und Selbständigkeit. Kinder verschiedensten Alters sind in derselben Gruppe, und der 5-Jährige spielt verständnisvoll mit dem 3-Jährigen. Nach dem Spielen wird aufgeräumt — jeden Tag wird ein "Aufräumchef" ausgelost, der dieses Label dann voller Stolz trägt —, die Kinder sind angehalten, sich selbst die Zähne zu putzen und in der Küche zu helfen. Der Tag beginnt mit einem Gesangskreis, in dem Lieder in verschiedenen Sprachen eingeübt werden, ganz die demographische Struktur der Südstadt mit ihrem hohen Anteil an griechischen, türkischen, osteuropäischen und afrikanischen Familien reflektierend.

Was die Logistik angeht, da hatten wir Glück gehabt: In Karlsruhe-Beiertheim beziehen wir eine helle, freundliche und vor allem möblierte Maisonettewohnung in Fußentfernung zu Bahnhof, Straßenbahn- und Bushaltestelle, Bäcker und Supermarkt. Und die Autofrage konnten wir innerhalb von zwei Tagen nach unserem Eintreffen in Lippe klären. Seither steht ein etwa 4 Jahre alter Diesel-Kombi in der Tiefgarage, der uns sparsam und dennoch komfortabel unseren Wochenend- und Ferienzielen näher bringt. Schauen wir uns die nun mal genauer an.

Moderne Raubritter

Renovierungsbedürftig

Burgen. Bei aller sonstigen Attraktivität — mit einem kann Australien nicht aufwarten: historische Bauwerke. Für die Europäer war es ein weißer Flecken auf der Landkarte gewesen, als Captain Cook im Jahre 1770 in Botany Bay landete. Die damalige Bevölkerung der Aborigines lebte in Behausungen aus Baumrinde, Grasbüscheln und Geäst; nichts, was die Jahrhunderte überleben würde. Kurz: das Mittelalter hatte hier nicht stattgefunden. Vermutlich hat's auch keiner vermisst ...

Niklas und Jonas kennen natürlich aus Gute-Nacht-Geschichten Könige, Schlösser und Ritter. Somit müssen Burgen auf dem Programm unseres Deutschlandaufenthaltes stehen. Kein Problem: Nur etwa 40 km von Karlsruhe entfernt gibt es z.B. den deutsch-französischen Burgenweg, eine 33 km lange Wanderroute mit 8 Burgen entlang des Weges, allesamt so etwa aus dem 13. Jahrhundert oder älter. Manche davon, das muss man allerdings eingestehen, sind von den Felsen, auf denen sie stehen, kaum mehr zu unterscheiden. Hier gibt es dringenden Renovierungsbedarf. Eine jedoch, die Fleckenstein, ist so gut in Schuss, dass wir gute 2 Stunden eines winterlichen Samstags damit verbringen, ihre Treppen und Gänge zu erkunden. Um diese Jahreszeit sind wir fast die einzigen Besucher. Der große Parkplatz sowie die Wendemöglichkeiten für Reisebusse verdeutlichen jedoch, dass es hier im Sommer ganz anders aussehen kann.

Nachdem auch der letzte Winkel der Burg auf eventuell dort vergessene Nibelungenschätze untersucht, nachdem die Latrine ebenso wie die Kochstelle oder der Kerker mit erstaunten Kommentaren versehen sind, machen wir uns auf zur nächsten Burg. Die gesamten 33 Kilometer des Weges zu machen, war von vorneherein nicht unser Plan gewesen. Und selbst die 5 Kilometer für den Hin- und Rückweg zur Hohenburg gestalten sich auf dem rutschigen Weg und in der anbrechenden Dämmerung als Herausforderung. Niklas und Jonas sind nun längst erschöpft und entsprechend unwillig. Selbst die Aussicht auf noch eine Burg beschleunigt ihre Schritte nur zeitweise. Aber irgendwie und irgendwann schaffen wir's zur Burg und zurück zum wartenden Auto. Der nur wenige Fahrminuten entfernte Gimbelhof — im Sommer mit seinem wunderschönen Hofgelände inmitten der Burgenlandschaft sicher ein herrliches Ausflugsziel (wovon auch der große Spielplatz zeugt) — öffnet extra unseretwegen seine Küche ein paar Minuten früher, und wir genießen ein an sich einfaches Abendessen, das nach einem Tag an der frischen Luft aber schmeckt wie ein Rittermahl. Schon kurz nach halb 7 sitzen wir im Auto auf der Heimfahrt Richtung Karlsruhe. Als wir uns nur eine Viertelstunde später einen kleinen Umweg durch das romantisch beleuchtete Wissembourg mit seinem alten Stadtwall, der zentralen Kirche und den verwinkelten Gässchen gönnen, sind Burgherr Niklas und Ritter Jonas längst in ihren Sitzen eingeschlafen ...

Schneemann

Bobfahrer

Rodeln. Hier im Süden und so nah an den Hängen des Schwarzwaldes, machen wir dort weiter, wo wir um Weihnachten herum in Lippe begonnen hatten: Wir jagen, immer die Schlitten — Geschenke von Petra — im Kofferraum, den Schnee. Am Wochenende nach der Burgentour sind die Schneeverhältnisse am Dobel unweit Karlsruhe gut genug. Eine Woche später sind wir am Mehliskopf im Nordschwarzwald zu finden. War der Ausflug an den Dobel noch wie Rodeln hinter dem eigenen Haus — wenn auch auf einem ausgesprochen langen und genau richtig geneigten Hügel —, so ist hier richtige Wintersportatmosphäre anzutreffen: Der Parkplatz ist gut gefüllt, gleich neben dem Rodelhang bereiten die Schneekanonen die Piste für das Flutlichtskifahren vor, und in einer Hütte wird Glühwein und Gulaschsuppe verkauft.

Jonas und Niklas versuchen erfolglos, ihre Schlitten auf Kurs zu halten. Das Lenken mit geschicktem Fußeinsatz will noch nicht recht klappen. Meist wird die Hacke zu kräftig in den Schnee gehauen, was einen abrupten Richtungswechsel 90 Grad zur Fahrtrichtung nach sich zieht und den Schlitten stoppt. Im günstigsten Fall kippt das Gefährt, dann schräg am Hang stehend, nicht um. Günstige Fälle sind die Ausnahme ...

Dem Spaß tut das keinen Abbruch. Auch und vor allem deshalb, weil die beiden dick eingepackt wie die Michelin-Männchen sind. Überhaupt ist Kleidung ein Thema für sich. Aus Down Under hatten wir an Warmem nur windabweisende Jacken, Regenstiefel, Pullover und Mützen mitgebracht. Elke und Siegfried hatten rechtzeitig zu unserer Ankunft wasserabweisende und gefütterte Schneeanzüge organisiert, die nun im Dauereinsatz sind. Allein das Anziehen von zwei wenig kooperativen Vierjährigen nimmt einen gefühlten halben Tag in Anspruch: Unterhose und lange Unterhose, Hose und wasserdichte Hose darüber. Das Unterhemd in die Unterhose, das T-Shirt in die lange Unterhose. Strümpfe über die Unterhosen gestülpt, Hemd, Pullover, Schal, Jacke, Mütze, Handschuhe (letztere wieder sauber in die Jackenärmel eingefädelt) — und wenn dann einem der Jungens einfällt, dass er doch nochmal schnell auf die Toilette muss, braucht es übermenschliche Selbstbeherrschung, nicht in Schrei- oder Weinkrämpfe auszubrechen. Mit Anbruch des Sommers, das wissen wir schon jetzt, wird Claudia, auf der die Hauptbürde des Ankleidens liegt, jeden Tag eine Stunde geschenkt bekommen.

Münster ...

... und der Blick von selbigem

Straßburg. Das letzte Wochenende im Januar führt uns ins nahe gelegene Elsass nach Straßburg. Das Wochenende davor war uns "gestohlen" worden, da Niklas aus dem Kindergarten Scharlach mit nach Hause gebracht hatte. Glücklicherweise behielt er die Krankheit für sich und zeigte selbst auch nur leichte Symptome. Ein Samstag Vormittag in der Kinderklinik — warum stellen sich solche Ereignisse eigentlich grundsätzlich Freitag nach Feierabend ein? —, eineinhalb Tage auf Penicillin, und er war wieder kindergartentauglich. Tapferer Niklas!

Zurück zum Straßburg-Ausflug: Ein weiteres Mal kommen wir uns vor wie die einzigen Besucher. Was für ein Gegensatz zu dem Gedränge, das uns von den letzten Besuchen in der Hauptsaison in Erinnerung ist. Die Geschäfte, sogar viele Restaurants, sind geschlossen; Straßburg gehört den Straßburgern, die ihren Sonntagsspaziergang machen, mit dem Nachbarn plauschen oder ihren Hund ausführen. Letzteres lässt übrigens entsprechende Spuren auf Wegen und Trottoires, und die Stadt macht heute einen ungepflegten Eindruck. Oder fällt uns das nur so auf, weil man im Straßenbild Sydneys quasi keinen Hund sieht? Die bekommen dort ihren Auslauf auf entsprechend gekennzeichneten Wiesen — wenn nicht der heimische Garten bereits groß genug ist —, und ein erstaunlich großer Anteil der Hundebesitzer kommt der Pflicht nach, die Hinterlassenschaften wegzuräumen.

Schon wieder sind wir vom Thema abgeschweift ... Trotz der Widrigkeiten, die dem Besucher in Bodennähe auflauern, präsentiert sich Straßburg ab Augenhöhe als eine der schönsten Städte, die wir kennen. Insbesondere das Münster ragt hier im wahrsten Sinne des Wortes heraus. Hierhin zieht es uns, allerdings erst nach einem ordentlichen Mittagessen: Niklas und Jonas bekommen den ersten Flammkuchen ihres Lebens. Und den brauchen sie auch in Anbetracht der Herausforderung, die auf uns wartet: den Kirchturm besteigen! 328 Stufen, wissen die beiden später stolz zu berichten, sind's vom Bodenniveau bis zur Aussichtsplattform, und beide Jungen meistern die Aufgabe mit Bravour.